Eine Prophezeiung, ein Wesen, das plötzlich keine Stimmen mehr hört und ein Mann, der sie töten muss…
Als Moan eines Morgens aufwacht und die Stimmen in ihrem Kopf nicht mehr zu hören sind, weiß sie, dass die Zeitrechnung begonnen hat. Sie sind ihr auf der Spur und es ist an ihr, das wilde Land zu retten, bevor es zu Grunde geht.
Wie soll sie das schaffen, wenn sie keine Ahnung von der Welt hat, in der sie lebt und den Gefahren, die nur darauf warten, dass sie einen Fehler macht? Ihr Leben ist der Preis, den es zu gewinnen oder verlieren gilt.
Bist du bereit dich verführen zu lassen?
Die Stille weckt mich.
Müde öffne ich die Augen und schaue mich einen Moment lang desorientiert um. Irgendwas stimmt hier nicht. Irgendwas stimmt hier ganz und gar nicht!
Dann wird mir klar, was anders ist und gleichzeitig immer noch gleich.
Mein Zimmer sieht aus wie immer. Alles steht an seinem Platz und doch hat die Welt eine andere Farbe.
DIE STIMMEN SIND WEG!
Oh, nein! Das kann nur eins bedeuten. Sie haben es geschafft!
Ich springe aus dem Bett, halte mich nicht mit der Tatsache auf, dass ich nur in meinen Umhang gehüllt bin und poltere die Stufen hinunter, die unter meinem Gewicht fast zu brechen scheinen, so laut knarzen sie.
„Moan! Was machst du?“ Die schrille Stimme reißt mich aus meinen Gedanken und ich bleibe abrupt stehen, bevor ich in sie hinein renne, weil sie unerwartet am unteren Ende der Treppe auftaucht.
Mit klopfendem Herzen bleibe ich vor ihr stehen. „Ich muss…“, doch was ich muss, weiß ich selbst nicht. Ich weiß nicht, was es heißt, dass die Stimmen weg sind. Ich weiß nur, dass die Prophezeiung besagt, dass wenn ich sie nicht mehr höre, die Welt zusammen bricht. Und genau so fühle ich mich gerade.
Ich beginne zu zittern. „Bitte, ihr müsst mir helfen!“
Doch wie immer wird nicht auf mich gehört.
Kräftige Arme packen mich, als ich unter der Wucht meiner Erkenntnis zusammen breche und tragen mich die Treppe zu meinem Zimmer zurück nach oben.
„Nein!“ Meine Stimme ist kaum noch ein Flüstern, hoch und verzweifelt.
Ich strecke die Arme aus und versuche mich an der Wand festzuhalten. Ich weiß, dass ich helfen kann, helfen muss. Und dennoch lassen sie mich nicht.
Meine Fingernägel kratzen an den rauen Steinen entlang. Den Schmerz meiner abbrechenden Nägel bekomme ich kaum mit, so sehr bin ich in der Angst gefangen.
Das kann nicht sein! Das darf nicht passieren…
Ich werde in meinem Zimmer auf dem Bett abgelegt und zugedeckt.
„Das ist nur ein Alptraum. Morgen hörst du deine Stimmen wieder.“ Sie will mich beruhigen. Trotzdem höre ich die Angst aus ihren Worten. Denn jeder weiß was passiert, wenn ich die Stimmen nicht mehr höre. Wir alle haben Angst davor.
Da ich heute Nacht garantiert nichts mehr erreichen kann, weil sie mir einfach nicht zuhören will, vergrabe ich meinen Kopf in den Kissen und schluchze leise vor mich hin. Beinahe höre ich dabei nicht, wie sich die Tür schließt. Doch das Klicken hallt endgültig durch mich hindurch.
Und dann erdrückt sie mich. Die Stille um mich herum. Mein Leben lang habe ich mir, ungeachtet der Konsequenzen, gewünscht, einen Augenblick der Stille zu haben, doch jetzt, wo es tatsächlich so weit ist, kann ich es nicht genießen. Stattdessen habe ich Todesangst!
Ich öffne die Augen in der Hoffnung, dass alles wieder normal ist. Aber wem will ich hier etwas vor machen? Normal ist in meinem Leben schon lange nichts mehr.
Ich schaue mich in meinem Zimmer um und hoffe fast, dass die Stimmen zurück kommen, doch das tun sie nicht. Alles bleibt still.
In mir macht sich eine Erkenntnis breit. Ich muss hier weg! Ich muss helfen.
In aller Eile springe ich aus dem Bett und laufe zu dem Stuhl, auf dem all meine Klamotten liegen. Die werde ich nicht alle mitnehmen können.
Kurzerhand wühle ich bis ganz nach unten, bis ich an Hose und Hemd komme, was ich einem Dienstmädchen abgenommen habe. Sie wollte mir damals unbedingt helfen und hat mir ein Set Kleidung von ihrem Mann gegeben.
Ich lasse meinen Umhang auf den Boden fallen und schlüpfe in die Hose. Da sie mir zu weit ist, schnappe ich mir kurzerhand eines meiner Kleider und reiße einen Streifen des unteren Randes ab. Den binde ich mir um die Hose, sodass sie nicht mehr rutscht. Dann ziehe ich mir das Hemd über den Kopf. Hier ist es mir geradezu recht, dass es zu groß ist. Ich fühle mich beschützter dadurch, dass man mich so nicht allzu schnell wird erkennen können. Meinen Umhang ziehe ich wieder darüber. Er hat eine Kapuze, unter der ich meine Haare verstecken kann. Dennoch binde ich sie mir mit einem weiteren Streifen des Rocksaums zusammen und blicke mich ein letztes Mal in meinem Zimmer um.
Schon jetzt kommt es mir fremd vor. Es gibt nichts, was ich vermissen werde. Ich habe mich schon lange auf diesen Moment vorbereitet, auch wenn ich keine Ahnung habe, wohin ich gehen muss, was meine genaue Aufgabe ist, aber ich werde es herausfinden!
Ich atme einmal tief durch und bin bereit es mit dem wilden Leben aufzunehmen.
Ich öffne schwungvoll die Tür und mache mir nicht einmal die Mühe leise zu sein. Denn das ist in diesem Haus sowieso nicht möglich. Sobald ich einen Schritt auf die Treppe gemacht habe, fängt sie an zu knarzen und ich höre ihre Stimme von unten.
„Moan? Es ist noch nicht Zeit zum Aufstehen!“ Sie klingt leicht besorgt. Wahrscheinlich, weil sie ganz genau weiß, dass die Stimmen nicht zurück gekommen sind. Sie weiß, dass ich gehen muss. Und dennoch taucht sie an der Treppe auf. Bereit mich wieder hoch zu schicken.
Ich versuche nicht auf sie zu achten und gehe ungeachtet ihrer eindrucksvollen Gestalt weiter nach unten. Sie hat die Lippen auf einander gepresst. Ihre Zähne graben sich tief in ihre Unterlippe und lassen kleine Blutrinnsale über ihr Kinn laufen. Sie versickern in dem hohen Kragen ihres Umhangs. Ich achte nicht auf das Unbehagen, was mich überkommt und laufe weiter.
„Ich muss gehen, Wächterin.“ Sie starrt mich an, als hätte sie mich nicht gehört. Doch ich gehe weiter. Schlucke die Angst herunter, die sich in mir festsetzen will und straffe die Schultern.
Tapfer setze ich einen Schritt vor den anderen, bis ihre mächtige Gestalt mir den Weg versperrt.
Verzweiflung trifft mich. Tränen verschleiern mir den Blick.
„Du weißt genauso gut wie ich, dass nur ich sie finden kann! Bitte lass mich durch.“ Aufgrund ihrer ausdruckslosen Miene kann ich nicht sagen, ob sie mir glaubt. Doch kurz bevor ich mich frustriert wieder auf den Weg nach oben machen will, legt sie mir eine Klaue ins Gesicht.
Ich zucke zusammen, halte aber still. Mit diesen Wesen ist nicht zu spaßen und ich habe kein Interesse daran, von ihr aufgeschlitzt zu werden!
Ihre drei Krallen bohren sich in meine Stirn und drücken so fest in meine Haut, dass diese aufplatzt. Ich rühre mich nicht von der Stelle, sondern bleibe starr stehen.
Nach ein paar endlosen Sekunden nimmt sie die Klaue von meinem Gesicht und macht mir zu meiner grenzenlosen Überraschung den Weg frei.
Erleichtert will ich an ihr vorbei rennen, doch sie hält mich auf. Vor mir taucht ein kleiner Stein auf. Er strahlt in sanften Licht und ich bin so perplex, dass ich ihn einfach nur anstarren kann.
„W…was ist das?“ Panik schwingt in meiner Stimme mit.
„Nun nimm ihn schon!“ Ich starre von dem Stein zu meiner Wächterin und bekomme vor Überraschung den Mund nicht mehr zu. Dann siegt aber meine Neugier und ich greife nach diesem unendlich wertvollen Geschenk.
Sie verbeugt sich vor mir als ich mich an ihr vorbei winde.
„Nun geh. Und finde deine Bestimmung.“ Ihre Worte hallen mir nach, als ich die Haustür hinter mir ins Schloss fallen lasse. Ich kann noch immer nicht glauben, dass sie mich tatsächlich hat gehen lassen.
Ich bin frei! Also nicht wirklich, aber irgendwie schon ein bisschen mehr als die vorherigen Jahre meines Lebens.
Doch was nun? Ich habe keine Ahnung wo ich bin und wo ich hingehen muss, um die Prophezeiung zu stoppen. Ich war noch nie allein hier draußen, habe keine Ahnung wie man im wilden Land überlebt. Denn, dass es eine Herausforderung wird, weiß ich. Das ich dabei wahrscheinlich drauf gehen werde, ist fast schon offensichtlich und dennoch stehe ich hier und versuche nicht einmal Schutz zu suchen. Den fliegenden Partikeln auszuweichen, die auf meiner Haut aufglühen und nur durch die Asche auf meinem Umhang davon abgehalten werden, auch hier Schaden anzurichten. Ich brauche einen Unterschlupf! Doch meine Beine sind auf dem Boden wie fest gewachsen.
Ich spüre beinahe wie mich die Verzweiflung trifft, weil ich nicht weiß, was ich tun soll. Ich weiß bloß von der Prophezeiung, nicht was meine Aufgabe dabei sein soll.
Plötzlich höre ich dumpfe Geräusche näher kommen. Sofort schaltet mein Körper in den Panik Modus. Das sind die Schergen des Königs! Sie dürfen mich auf keinen Fall erwischen.
Ich kneife meine Augen in dem rötlich glühenden Licht zusammen und ziehe die Kapuze tiefer in mein Gesicht. Es ist noch zu früh als das viele Wesen unterwegs wären. Es ist niemand da, hinter dem ich mich hätte verstecken können. Und ich bezweifle sehr, dass das geklappt hätte. Stattdessen mache ich ein paar Schritte zurück und stoße mit meinem Rücken an die Haustür.
Kurz überlege ich, ob ich nicht vielleicht doch wieder hinein gehen sollte, doch das hier ist meine einzige Chance. Die kann ich nicht verstreichen lassen, nur weil mich niemand auf diesen Moment vorbereitet hat.
Kurzentschlossen drehe ich mich um und renne um das Haus herum. Verstecke mich im Schatten, halte die Luft an und warte darauf, dass die dumpfen Schritte verhallen. Doch das tun sie nicht. Sie werden langsamer und bleiben direkt vor dem Haus stehen, in dem ich mich noch vor ein paar Minuten aufgehalten habe.
Laut hallt ihr Klopfen durch die Gasse. Meine Wächterin öffnet die Tür und ich höre gedämpft die Unterhaltung, die sie führen.
„Wir sind auf der Suche nach Moan.“ Die Stimme des Schergen lässt mir eine eisige Gänsehaut den Rücken hinunter rieseln.
Ich kauere mich ängstlich zusammen.
„Sie ist oben in ihrem Zimmer, aber ich habe den Auftrag weder sie raus noch jemand anderen rein zu lassen. Daher fordere ich euch freundlich auf zu verschwinden.“ Auch ihre Stimme klingt klirrend wie Eis in dieser Hitze. Es ist unheimlich.
Ich höre raues Lachen. „Du hast uns gar nichts zu befehlen und jetzt geh beiseite, bevor ich mich vergesse!“
Ich weiß, dass die Schergen gefährlich sind. Jeder weiß das. Aber auch Wächter sind alles andere als ungefährlich. Im Gegenteil. Sie sind beinahe noch gefürchteter als die Schergen des Königs, weil sie niemals aufgeben. Sie sind beinahe übernatürlich willensstark und durch nichts aufzuhalten. Weswegen ich immenses Glück hatte, dass meine Wächterin mich tatsächlich alleine hat gehen lassen, wo sie doch einen anderen Auftrag hatte. Es sollte mich stutzig machen, doch ich bin viel zu sehr mit allem anderen beschäftigt, als mich um diese glückliche Fügung zu sorgen.
Doch das unheilvolle Klirren von Waffen, lenkt meine Aufmerksamkeit zurück auf die Szene zwischen Wächterin und Schergen, die eigentlich ein gemeinsames Ziel haben sollten. Schwerter treffen auf einander und dann höre ich einen erstickten Schrei.
Keine zwei Meter von mir entfernt fällt meine Wächterin auf die Erde. Ich höre Fußgetrappel. Die Schergen gehen ins Haus. Auf der Suche nach mir.
Und ich, die eigentlich schon längst hätte abhauen sollen, renne auf meine Wächterin zu. Angst krallt sich in mir fest, auch wenn sie diejenige ist, die mich die Hälfte meines Lebens gefangen gehalten hat, so ist sie auch diejenige, der ich in dieser Welt am meisten vertraue. Gezwungenermaßen hat sie mich bisher vor allem beschützt und dafür gesorgt, dass ich noch immer lebe.
Ich falle neben ihr auf die Knie und achte gar nicht darauf, dass mir die Kapuze vom Kopf fliegt und schwarze Partikel mir das Gesicht verbrennen.
Ich suche ihren Körper nach Verletzungen ab, doch bevor ich eine finden kann packt sie mit ihren Klauen unendlich sanft meine Hände. In ihren Augen steht ein Ausdruck, den ich noch nie bei Wächtern gesehen habe. Zuneigung.
„Hör auf, Moan. Meine Zeit ist gekommen. Ich habe meine Pflicht erfüllt. Ich sollte dich beschützen und das habe ich getan. Nur auf diese Weise gehe ich sicher, dass ich dich nicht aufhalten werde. Geh jetzt und finde deinen Weg. Du wirst es schaffen. Ich glaube an dich.“
Komischerweise kommen mir bei ihren Worten die Tränen. Ich blinzle sie weg und starre in ihr Gesicht. Ihr Atem geht flach. Ihre Lieder flattern.
Dann erschlaffen ihre Klauen, die meine Hände halten und sie atmet aus. „Geh, Gesandte des Himmels. Geh und erfülle deine Pflicht.“ Ihr Blick wird unscharf und richtet sich gen Himmel.
Das ist mein Stichwort.
Beflügelt durch ihre Worte und mit neuer Hoffnung stehe ich auf, wische mir die Tränen von der Wange und ziehe die Kapuze zurück über meinen Kopf.
Ich wende mich um und renne die Gasse entlang. Kenne weder mein Ziel, noch meine Aufgabe, meine Pflicht, doch gerade ist das egal.
Die Schergen sollten mittlerweile wissen, dass ich nicht mehr im Haus bin und weiter nach mir suchen. Was sie von mir wollen, kann ich mir zwar denken, doch ich weiß es nicht mit Sicherheit. Und ich habe auch nicht vor es herauszufinden.
Eckdaten zum Buch:
Arbeitstitel des Buches:
Die Stille in mir
Genre:
Romantasy
Titelart:
Erster Teil einer Reihe (3 Bände)
Erzählperspektive:
Ich-Erzähler
Zielgruppe:
Frauen 18-35 Jahre
Umfang des Manuskripts:
578.352 Zeichen inkl. Leerzeichen/ 97.514 Wörter